Dienstag, 5. Mai 2009

Radikal-philosophisches Genrekino - The Wicker Man

Es gibt Klassiker, die wollte man schon immer mal gesehen haben. Irgendwie hat es sich aber nie ergeben. Entweder aus Mangel an Gelegenheiten, oder weil der Film schlicht nicht verfügbar war. Robin Hardys The Wicker Man ist so ein Fall. Wobei die Suche nach dem Film dadurch erschwert wurde, dass er nie in die deutschen Kinos kam. Umso erfreulicher, dass Kinowelt sich dazu entschlossen hat, den Film auf DVD zu veröffentlichen. Und das, obwohl es nicht mal eine deutsche Synchronfassung gibt. Aber der Aufwand hat sich allemal gelohnt, denn The Wicker Man ist ein Film-Erlebnis, das man nicht so schnell vergisst.

Die Geschichte des Films ist die typische Queste des Kriminalfilms: Ein britischer Polizist stellt auf der schottischen Insel Summerisle Nachforschungen im Fall eines verschwunden Mädchens an. Auf der Insel angekommen, macht besagter Seargent Neil Howie Bekanntschaft mit den verschrobenen Einwohnern der Insel. Nicht besonders kooperativ erweckt die seltsame Gemeinschaft den Eindruck, dass hier etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Das dem tatsächlich so ist, wird niemanden überraschen. Das es dann aber doch ganz anders kommt, als zunächst erwartet, zählt zu den größten Stärken des Films.

Denn mit der zugrundeliegenden Struktur der klassisch kriminialistischen Suche des Detektivs nach der Lösung des Rätsels wird der Zuschauer auf der Ebene seiner antrainierten Sehgewohnheiten bedient. Aus der Perspektive von Howie erleben wir mit, wie der Polizist Hinweise sammelt und langsam aber sicher ein Bild zusammen fügt, das offenkundig Sinn macht: Die Einwohner sind in Wahrheit eine heidnische Sekte und haben das Mädchen entführt, um es bei einer barbarischen Zeremonie zu opfern. Der Film entlässt den Zuschauer keine Sekunde aus Howies Perspektive: dem Blick eines rationalistisch-logisch analysierenden Vertreters der Mehrheitsgesellschaft - der zudem streng gläubig ist.

Das ist der Grund dafür, das Howie an den Bräuchen der Inselbewohner schier verzweifelt. Freie Liebe, anschaulicher Sexualunterricht schon in der Grundschule und obskure Fruchtbarkeitsrituale kollidieren mit seinem starren christlichen Weltbild. Mit der Zeit führt das dazu, dass seine latenden Aggressionen aus ihm heraus brechen. The Wicker Man, und das macht den Film so einzigartig, zeigt Howies verständliche Abwehrreaktionen auf die religiösen Sitten von Summerisle - ohne sich jedoch über deren Protagonisten lustig zu machen oder diese auf andere Art und Weise abzuwerten. Howies Abneigung ist offensichtlich, nur macht sich der Film als solcher diese Wertung nicht zu eigen.

Obwohl Hardys Film strukturell eigentlich einem Krimi-Muster folgt, erinnert die latente Atmosphäre der Bedrohung an das Horror-Genre. Der Auftritt von Christopher Lee als Lord Summerisle, seines Zeichens Oberhaupt der Inselgemeinde, tut sein Übriges. Der wahre Horror von The Wicker Man entspringt aber keineswegs bekannten Plotwendungen oder traditionellen Genre-Kniffen, sondern eben jener Wertfreiheit, die dem bürgerlich-christlichen Zuschauer die Relativität des eigenen Weltbildes vor Augen führt - in einer Radikalität, die im zeitgenössischen Kino seinesgleichen sucht. Howie ist auf Summerisle komplett isoliert. Und trotzdem erscheinen die Inselbewohner nicht als Freaks. Hier sind einfach die Mehrheitsverhältnisse anders verteilt. Und deshalb hat der christliche Gott hier keine Bedeutung, ja bekommt den Rang, den im christlichen Weltbild die Götzen einnehmen.

Im Kern ist The Wicker Man also ein tief philosophischer Film und ein Generalangriff auf die Fundamente unserer bürgerlichen Weltsicht. Religion ist in der Logik der Erzählung wenig mehr als eine sozio-kulturelle Übereinkunft und keineswegs der Weg zu metaphysischer Erkenntnis. Der Film konfrontiert seine Zuschauer mit der simplen Erkenntnis: Es gibt keinen Gott. Es sein denn, Du konstruierst dir einen. Das Howies rationalistische Queste in der Logik dieser Erzählung scheitern muss, zeigt, wie ernst Regisseur Robin Hardy und Autor Anthony Schaffer ihr Thema nehmen - und das sie die filmische Intelligenz besitzen, dieses Thema auch auf struktureller Ebene zu spiegeln. Grandios auch die Symbolik des Films: Wenn Howie in einem Schülerpult eine an einem Nagel festgebundene Kakerlake findet, die verzweifelt versucht zu fliehen, sich dabei aber immer nur noch mehr verstrickt, ist das ein wunderbares Bild für die Lage der Hauptfigur selbst.


Aber auch das bereitet nicht wirklich auf das Ende des Films vor. Ohne zu viel zu verraten: Hardy und Schaffer ziehen die Radikalität ihres Ansatzes gnadenlos durch. Die gespenstische Stimmung des Finales macht nahezu sprachlos. Ob seiner hybriden Natur, des universalen Themas Religion und der großartigen Darsteller ist The Wicker Man dabei immer mehr als ein Horrorfilm. Allein deshalb wäre dem Film 36 Jahre nach seinem Kinostart ein größeres Publikum zu wünschen. Für alle, die ihre Klassiker-Sammlung komplettieren wollen und zugleich Lust auf ein intellektuelles Abenteuer haben, ist der Film ohnehin Pflichtprogramm.

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