Sonntag, 26. Juli 2009

Grenzüberschreitendes Genrekino: Martyrs


Martyrs ist einer dieser Filme denen ein Ruf vorauseilt, der zuerst einmal zurück schrecken lässt. Düster und dreckig sei der Film. Und vor allem so brutal, dass es einer Mutprobe gleichkomme, ihn bis zum Ende anzusehen. Folterkino. Torture Porn. Seit Eli Roths Hostel-Filmen haben sich diese Etiketten leider zu Floskeln entwickelt, die von Kritikern aus Bequemlichkeit und von Marketing-Fachleuten zur Steigerung der Verkaufszahlen verwendet werden. Um die Filme zu beschreiben, geschweige denn zu analysieren, taugen sie indes wenig. Denn war Hostel schon mehr als simple Genre-Kost, trifft das auf Pascal Laugiers Martyrs erst recht zu.

Der Anfang ist Stakkato. Gleich das erste Bild des Films erzeugt Unwohlsein: Ein weinendes kleines Mädchen, der Körper mit Wunden und Abschürfungen übersät, stolpert über eine menschenleere Straße. Offensichtlich ist es auf der Flucht. Und was ihm angetan wurde, will man sich lieber gar nicht vorstellen. Drumherum verfallende Industriebauten, Rost, zerschlagene Scheiben. Das Thema ist Verfall, Niedergang, Tod. Dann ein harter Schnitt. Wir sehen grobkörnige, mit Handkamera gefilmte Aufnahmen aus einem Klinikarchiv. Offenbar ist das Mädchen in ein Krankenhaus aufgenommen worden. In der Klinik freundet es sich mit einer gleichaltrigen Patientin an. Und der am Genre geschulte Zuschauer merkt gleich: Irgendetwas stimmt hier nicht. Wieder ein Sprung: Eine Familie beim Frühstück. Die Stimmung ist gut, die Gespräche typisch für die bürgerliche Mittelschicht. Sympathische Menschen denkt man noch, als es an der Tür klingelt. Davor steht eine junge Frau mit Schrotflinte.

Ist es auch nicht einfach, aus diesen Fragmenten einen Sinnzusammenhang zu konstruieren, so drängt sich aufgrund bekannter Genre-Versatzstücke doch der Verdacht auf, es mit einer klassischen Revenge-Thematik zu tun zu haben. Zumal sich bald heraus stellt, das sich hinter der Fassade der 08/15-Familie Abgründe verbergen. Fügen sich die Mosaikstücke traumatische Kindheitserlebnisse, Folterkeller, Rachemord noch zu einem schlüssigen und aus diversen Genrewerken bekannten Gesamtbild, wechselt Martyrs mit dem Auftauchen einer seltsamen alten Mystikerin samt Entourage allmählich das Gleis.

Die letzte halbe Stunde ist brachial und in der Tat schwer zu ertragen. Klar, man weiß wofür der klinische Folterkeller gedacht war, bekommt es aber nun vor Augen geführt. Wer blutige Exzesse sucht, ist hier indes falsch. Und das gilt auch für diejenigen, die erwarten, dass sich die weibliche Hauptfigur im Stile eines heroischen Empowerment erfolgreich gegen ihre Misshandlung zur Wehr setzt. Es sind weniger die Schläge, nicht die Dunkelheit, die so schwer zur ertragen sind, sondern die totale Ausweglosigkeit. Laugier macht sich die Identifikation des Zuschauers mit seiner Heldin zunutze, um ihn an den Rand seiner Belastbarkeit zu führen. Die durch seine souveräne Regie erzeugten Realitätseffekte machen es dabei umso schwerer, sich von dem Geschehen auf der Leinwand zu distanzieren.

Laugier lässt uns über die Motive der Folterer lange im Dunkeln. Und mit den Motiven offenbart sich auch das eigentliche Thema des Films erst ganz am Ende. Es geht um nichts weniger, als die Angst des modernen Menschen vor der eigenen Bedeutungslosigkeit. Es geht um das Bedürfnis, zu wissen, was nach dem Tod kommt und um die Befürchtung, dass dort nichts mehr ist. Es geht am Ende um den Sinn der Existenz. Die große Stärke von Martyrs ist, dass er sich einer Antwort - auch eine Spekulation gibt es nicht - enthält. Aber allein die Verzweiflung über das eigene Unwissen führt am Ende dazu, dass der Zuschauer paradoxerweise, so sehr ihm das verbrecherische Tun der Folterer bewusst ist, eine Spur Sympathie für deren Motiv entlockt.

Der Horror von Laugiers Film ist am Ende nicht die gezeigte Gewalt, sondern die gedankliche Radikalität und der Mut, den Zuschauer ohne tröstende Geste mit seinen Grübeleien allein zu lassen. Martyrs ist ein Film, der Viele noch Tage nach dem Anschauen begleiten dürfte. Denn wie viele andere Ausnahmefilme lässt er sich nicht einfach konsumieren. Er macht es unabdingbar, eine eigene Position zu seinem Thema einzunehmen - oder die bereits bestehende Position zu hinterfragen. Martyrs fordert heraus, ist tatsächlich eine Mutprobe. Aber nicht weil es gilt, endlose Leinwandbrutalitäten auszuhalten, sondern weil der Film nur Jenen wirklich zuzumuten ist, die es aushalten, dass Überzeugungen und Gewissheiten einer harten Probe unterzogen werden.

Freitag, 24. Juli 2009

Luftnummern und Sommerlöcher

Spiegel Online hat die "Nachricht" als erstes, die Süddeutsche zog heute in ihrer Online-Ausgabe nach. Und sogar die Bild-Zeitung platzierte das Thema heute ganz vorne. Die Geschichte: Tagesschau Chefredakteur Kai Gniffke und ARD-Hauptstadtstudio-Chef Ulrich Deppendorf kabbeln sich im Tagesschau-Blog. Der "Streit" dreht sich um das Eingeständnis von Gniffke, dass die Tagesschau in einer ihrer letzten Ausgaben ausschließlich Themen behandelt hätte, die nur dank der dem Sommerloch geschuldeten nachrichtenarmen Zeit einen Weg in die Sendung gefunden hätten. Originalzitat: "Alles reine Kann-man-machen-Nummern."

Offensichtlich leidet aber nicht nur die Tagesschau unter dem Sommerloch. Das es Redakteuren zweier großer deutscher Nachrichtenportale einfällt, ein solches Null-Thema auf ihre Seiten zu hieven, kann nur bedeuten: Es gab gerade nichts anderes. Der Nachrichtenwert einer Meinungsverschiedenheit zweier Medienmacher, die in der Bevölkerung ohnehin kaum jemand kennt, dürfte kaum messbar sein. Nichts gegen mediale Selbstkontrolle und selbstreflexive Berichterstattung. Aber wenn dabei Geschichten konstruiert werden, die keine sind, dann können wir darauf verzichten.

Donnerstag, 23. Juli 2009

Gebührenverschwendung? Gebührenverschwendung!

Das ZDF Heute-Journal hat ein neues Studio. Insider nennen es die "grüne Hölle", ob der ach so revolutionären "green screen"-Technologie. Natürlich hat das modernisierte Studio einige Millionen gekostet. Und das zu Recht, obwohl sich um die Kosten eine massive Debatte entzündet hat. Aber: Auch die öffentlich-rechtlichen Sender müssen mit der Zeit gehen, müssen investieren, um für die Zuschauer interessant zu bleiben. Der Vorwurf lautet: Gebührenverschwendung.


Ich würde unter Gebührenverschwendung aber weniger die Investitionen ins neue Studio verbuchen, sondern eher die Summen, welche die begleitende Werbekampagne gekostet haben dürfte. Nicht nur, dass auf allen relevanten News-Portalen massiv Bannerwerbung geschaltet wurde, auch im Print waren die Werber nicht untätig. Eine Banderole um die bundesweit erscheinende Tageszeitung Die Welt dürfte auch in Zeiten der Wirtschaftskrise nicht ganz billig sein. Und ein aufwändig gestaltetes Beilagenheft für den Spiegel dürfte sogar noch wesentlich gewesen sein.


Das Problem an diesen Werbemaßnahmen ist außerdem, dass sie fast ausschließlich in Medien für das "neue" Heute-Journal warben, aus deren Leserschaft sich auch das Stammpublikum der Sendung rekrutieren dürfte. Erschließung neuer, vielleicht auch jüngerer Zielgruppen: Fehlanzeige. Jene Fernsehzuschauer aber, die bislang das Heute-Journal gesehen haben, werden das auch weiterhin tun - und das neue Studio so oder so bemerken. Restaurants würden sich hüten, Stammgästen, die immer das gleiche Gericht bestellen, Werbung für eben dieses Gericht so massiv zu präsentieren.


Ganz davon abgesehen: Besagte Spiegel-Beilage reiht das neue Studio in eine Kette von Höhepunkten der Mediengeschichte - wie den Buchdruck oder den Telegrafen - ein. Böswillig könnte man dazu sagen: Gebührenverschwendung trifft Größenwahn.