Donnerstag, 7. Mai 2009

Intelligentes Genre-Kino: Eden Lake


James Watkins Eden Lake schafft etwas, das nur wenige Horrorfilme hinbekommen: Er verbindet weitgehend klassisches Genre-Kino mit einer zutiefst pessimistischen Bestandsaufnahme der sozialen Probleme moderner Industriegesellschaften. Damit steht der Film in der Tradition des Horrorkinos der 70er Jahre, mit dem er eine weitere Gemeinsamkeit teilt: Er ist alles andere als einfach zu verdauen.

Das britische Horrorkino hat in den letzten Jahre eine Reihe formidabler Produktionen hervorgebracht: Sowohl Michael Bassetts Wilderness als auch Christopher Smiths Severance, vor allem aber Neil Marshalls The Descent waren handwerklich weit überdurchschnittlich und erzählten darüber hinaus Geschichten, die wie nebenbei gesellschaftlich relevante Themen verhandelten. Eden Lake beweist erneut, dass auch das populärkulturelle Genre-Kino ein Ort sein kann, an dem Thesen formuliert und durchgespielt werden können. Denn James Watkins hat einen Film über Klassen- und Milieugegensätze gedreht, über die Unfähigkeit unterschiedlicher sozialer Milieus, miteinander zu kommunizieren. Freilich ohne dabei das Genre zu verraten, denn Eden Lake macht in jeder Einstellung klar, dass es sich um einen Horrorfilm handelt. Kein Wunder eigentlich, denn hinter der Kamera stand mit Christopher Ross und David Julyans just jenes Duo, dass schon The Descent mit eindrucksvollen Bildern versorgt hat.

Die Geschichte ist schnell skizziert: Das glücklich verliebte Pärchen Jenny (Kelly Reilly) und Steve (Michael Fassbender) fährt zu einem Wochenendtrip aus der Stadt aufs Land. Ihr Ziel: der titelgebende Eden Lake. Kaum angekommen, geraten die beiden mit einer Clique Dorfjugendlicher aneinander. Der geübte Zuschauer ahnt es schon: Zwischen beiden Parteien kommt es zu einem Konflikt, der im wahrsten Sinn des Wortes bis aufs Blut ausgetragen wird. Wenn Steve, der Prototyp des im Job erfolgreichen Globalisierungsgewinners, mit den Dorfbewohnern und besagten Jugendlichen spricht, prallen Welten aufeinander. Hier der physisch makellose, konsumverwöhnte Weltbürger - dort die ausgeschlossene Landbevölkerung mit schiefen Zähnen und aggressivem Habitus. Mit wenigen Einstellungen macht Eden Lake klar: Hier geht es um gesellschaftliche Spannungen, um eine Spaltung des Sozialen. Und besonders im Fokus steht das Unvermögen der völlig verschiedenen Milieus, miteinander in Kontakt zu treten. Kein Gespräch zwischen Steve und den Dorfbewohnern, dass nicht in verstimmter Atmosphäre endet. Watkins Film rekurriert in diesen Szenen deutlich auf Sam Peckinpahs Straw Dogs, in dem Dustin Hoffman als Mathematiker mit seiner Frau aufs englische Land zieht und mit den Menschen dort keine gemeinsame Ebene finden kann.

Gemäß den Genrekonventionen kommt es, wie es kommen muss: Die Situation eskaliert, Jenny und Steve müssen sich immer aggressiveren Attacken erwehren und nachdem zuerst "nur" die Statussymbole Handy und Auto abhanden gekommen sind, geht es schließlich um Leben oder Tod. Die Bilder von Jagd, Folter, Erniedrigung und Gewalt entwickeln in Eden Lake eine Wucht, die ihresgleichen sucht. Eli Roths Hostel-Filme oder die Produktionen des jungen französischen Horrorkinos zeigen mit Sicherheit deutlich explizitere Grausamkeiten - was ihnen jedoch fehlt ist die emotionale Ebene. Die großartigen Schauspieler und vor allem die glaubhaften Charaktere der Protagonisten sorgen in Watkins Film für ein Maß an extremer Identifikation mit den Figuren.

Hier eröffnet Eden Lake noch eine weitere Ebene: Das Spiel mit den Identifikationsgewohnheiten des Zuschauers. Denn wenn die Protagonistin im letzten Drittel des Films zurück schlägt, ist der Zuschauer so sehr auf ihrer Seite, dass er den jugendlichen Übeltätern ein möglichst grausames Ende wünscht. Aber nur bis zu einem gewissen Punkt: Denn Watkins Film vergisst nie, die brutale Clique mit einem menschlichen Gesicht zu versehen. Wenn die Kamera in Nahaufnahme die verunsicherten Gesichter zeigt, die zum ersten Mal überhaupt einem anderen Menschen Gewalt antun und wenn sie zeigt, wie perfide der dominante Anführer die anderen zu Mittätern macht, dann geschieht das nicht aus Alibi-Gründen. Sondern um zu verdeutlichen, dass es sich nicht um das namenlos Böse handelt, vielmehr um eine soziale Gruppe mit eigener Dynamik. Eden Lake schafft es meisterhaft, zu jeder Zeit die Täterrolle der Clique zu unterstreichen, zugleich jedoch deren Status als unmündige und orientierungslose Heranwachsende heraus zu arbeiten. Wenn Jenny am Ende den Jüngsten der Gruppe tödlich verletzt, konfrontiert der Film den Zuschauer daher mit einem moralischen Dilemma ohne Ausweg - und hält ihm so vor Augen, wie simpel die Identifikationsprozesse im klassischen Horror- und Actionkino ablaufen.

In seiner Weigerung, eindeutige Täter-Opfer-Zuschreibungen vorzunehmen, zitiert Eden Lake erneut Vorbilder aus den 70er Jahren. An John Boormans Deliverance erinnert nicht nur die Waldlandschaft, dessen Grundkonstellation "Moderne trifft auf ländliche Vormoderne" stand hier auch Pate. Strukturelles Vorbild ist in erster Linie jedoch Wes Cravens The Last House on the Left: Wenn Jenny am Ende aus dem Wald flüchten kann und erkennen muss, dass die Leute, bei denen sie unter gekommen ist, keine anderen sind, als die Eltern des Jungen, den sie umgebracht hat, dann ist das eine bitterbös-ironische Spiegelung des Finales von Cravens Klassiker - und kein simpler Plot-Twist aus Selbstzweck.

Mit Cravens Film teilt Eden Lake übrigens auch einen erdrückenden Pessimismus. Denn Watkins Film formuliert eine Bestandsaufnahme der sozialen Verfasstheit einer zerrissenen englischen Gegenwartsgesellschaft, die wenig Hoffnung auf morgen macht. Eine Verständigung ist nicht möglich und aus der Kommunikationsunfähigkeit erwachsen gewaltsame Konflikte, die Eden Lake im Kleinen durchspielt. Das es also im Grunde Kinder sind, die hier zu Gewalttätern werden, kann als Appell verstanden werden, im Sinne kommender Generationen an dieser Situation schnellstens etwas zu ändern.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen