Ein Klassiker wird in diesem Jahr 40, doch sein Geburtstag war den etablierten Filmzeitschriften offenbar keine Erwähnung wert. 1968 brachte George A. Romero Night of the Living Dead in die amerikanischen Kinos und veröffentlichte damit einen stilbildenden Meilenstein. Das US-Kino war danach nicht mehr dasselbe. Romeros Film erzählte eine unerhört obszöne Geschichte, formulierte eine scharfe Kritik an pauschalem Schwarz-Weiß Denken und dekonstruierte die Konventionen des klassischen Hollywood-Films. Und hat damit bis heute nichts von seiner Aktualität verloren.
Die Geschichte von Night of the Living Dead ist schnell erzählt: Ein junges Geschwisterpaar besucht einen Friedhof. Dort wird es von einem alten Mann angegriffen, einem lebenden Leichnam. Der junge Mann kommt ums Leben, die junge Frau kann fliehen und sucht Zuflucht in einem Landhaus. Dort trifft sie auf eine Gruppe weiterer Flüchtlinge. Gemeinsam verschanzen sie sich und bekämpfen die rasch anrückende Horde lebender Toter. Was bitter nötig ist, denn wie sich schnell heraus stellt, werden diese von einem Hunger nach menschlichem Fleisch angetrieben. Keine guten Aussichten.
Seit seiner Premiere sind unzählige Interpretationen zu Night of the Living Dead veröffentlicht worden. Die Bekannteste: Der Film sei eine Allegorie auf den Vietnam-Krieg und kritisiere mit seiner exzessiven Gewaltdarstellung die Übergriffe der US-Soldaten auf die vietnamesische Zivilbevölkerung. Aber: Wer Romeros Film auf diese Lesart beschränkt, der ignoriert, dass er viel mehr leistet, als ein düsterer Kommentar zu den politischen Umständen seiner Zeit. Night of the Living Dead ist ein selbstreflexiver Horrorfilm, der die Grenzen des Genres sprengt, indem er Versatzstücke anderer Genres aufnimmt, dekonstruiert und ihre Konventionalität entlarvt. Er ist eine Reflexion über das klassische Thema des Horror- und Science Fiction Kinos: Verhandelt werden keine konkreten politischen Bezüge, sondern die Auseinandersetzung zwischen der eigenen kulturellen Identität und dem fremdartigen kulturell Anderen. Und genau diese Verhandlung verleiht dem Film seinen zeitlosen Charakter und ist der eigentliche Grund, warum er seinen Platz im Filmarchiv des Museum of Modern Art zu Recht besitzt.
Romeros Film führt die narrativen Konventionen des klassischen Hollywood-Kinos vor. Dabei bedient er sich in erster Linie der Struktur der Western der 30er und 40er Jahre wie John Fords Stagecoach. Bekannte Versatzstücke werden durch Variation oder völlige Auslassung in den Vordergrund gerückt. So handelt es sich beim Protagonisten Ben um einen Schwarzen. Als Variante der klassischen Sheriff-Figur behält er als einziger einen ruhigen Kopf und bemüht sich, der Lage rational Herr zu werden. Der Rückzug ins Landhaus, das Verschanzen und die Abwehr der Angriffe der Untoten rekurrieren auf das Grundmuster von Fords Belagerungswestern: Das Haus als Wagenburg, die eingeschlossene Gruppe in der Rolle der tapferen Siedler und die lebenden Toten als die aggressiven Indianer. Night of the Living Dead verdeutlicht hier, auf welcher Freund-Feind Rhetorik viele klassische Hollywood-Filme basieren.
Und genau an dieser Stelle liegt Romeros Geniestreich: Denn durch ihren Status unterlaufen die Zombies die klare Schwarz-Weiß Malerei des Western-Kinos. Sie sind nicht tot, nicht lebendig, sondern un-tot. Sie bewegen sich in einer terminologischen Grauzone, welche die eindeutige Identifizierung als Freund oder Feind obsolet werden lässt. Deutlich wird diese Strategie, als der Bruder vom Anfang des Films als Zombie wiederkehrt und seine Schwester angreift. Oder auch, wenn ein kleines Mädchen wieder aufersteht und ihre Mutter tötet. Night of the Living Dead nimmt 1968 die Entwicklungen des amerikanischen Horrorkinos der 70er Jahre voraus: Die Bedrohung kommt nicht länger von Außen, sondern erwächst aus der Mitte der Gesellschaft.
Die Figuren in Romeros Debütfilm sind Repräsentanten der amerikanischen Wohlstandsgesellschaft und als solche in der Welt des Films einer simplen Freund-Feind Logik verhaftet. Sie reagieren mit Gewalt auf die Zombies. Gewalt ist das folgerichtige Resultat einer Logik, die auf Ausgrenzung basiert. Und was nicht sozial ausgegrenzt werden kann, wird ausgemerzt. Beunruhigend nah an unsere Wirklichkeit kommt diese selbstreflexive Analyse klassischer Hollywood-Erzählmuster übrigens am Ende des Films. Eine Bande Rednecks, auf der Jagd nach Zombies, hält Ben irrtümlich für einen Zombie und erschießt ihn. Ben, der Schwarze, und die Zombies werden eins. Die simple und verheerende Logik der Ausgrenzung, des Rassismus und der Gewalt ist im Kino selten eindrucksvoller veranschaulicht worden. Ganz nebenbei kommentiert der Film so auf bitter-ironische Weise auch die Konventionalität des typischen Horrorfilm-Endes: Durch Ausschalten des "Monsters" wird die gestörte Ordnung wieder hergestellt.
Night of the Living Dead ist also ein Appell zur Konstruktion von Filmerzählungen, die auf einer anderen Logik beruhen. Und mehr noch: Ein Appell, soziale Gemeinschaften auch in Wirklichkeit auf den Prinzipien von Toleranz und Dialog aufzubauen. Damit weist der Film weit über sich selbst und das Kino hinaus. Und erbringt ganz beiläufig den Beweis, dass (Film)Kunst präzise Aussagen über die Welt treffen kann - auch in fantastischen Szenarien und ohne dabei in einen dozierenden Gestus zu verfallen.
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