Mittwoch, 22. April 2009

Der Serienkiller-Film als Philosophie-Lektion


Es müssen nicht immer Independent-Produktionen sein. Auch das Hollywood-Kino kann tiefgründige Geschichten auf eine ungewöhnliche Art und Weise erzählen. Manchmal sogar mit intellektuellem Anspruch. David Finchers fulminanter Thriller Zodiac ist dafür ein eindrucksvolles Beispiel.

Seit seinem Neo-Noir Se7en gilt David Fincher als Spezialist für Serienkiller. Die Geschichte um den Mörder John Doe, der seine Opfer gemäß dem biblischen Motiv der sieben Todsünden umbringt, zugleich ein ungemein düsteres Porträt einer dekadenten urbanen Gesellschaft, wurde von Kinogängern wie Kritikern schon kurz nach seiner Premiere in den Rang eines kanonisierten Klassikers erhoben.
Se7en blieb vielen Zuschauern vor allem aufgrund seiner detalliert ausgearbeiteten Tatortkulissen und der perfiden Mordmethoden des Killers wegen im Gedächtnis. Dabei zeigte schon Finchers zweiter Film, trotz der äußerst grafischen Darstellung und der Konzentration auf die Motive des Mörders, ein deutliches Interesse an den Figuren, die in Zodiac nun im Fokus der Erzählung stehen: den Ermittlern. Der Film ging aber noch nicht so weit, die narrativen Konventionen des Genres auf den Prüfstand zu stellen: Die beiden Detectives stellen Nachforschungen an, setzen Hinweise zusammen. Auch wenn, soviel sei zugegeben, sie nur die Hinweise entdecken, die ihnen der Mörder wie Brosamen auslegt. Zodiac hingegen klopft das Genre des Kriminalfilms klassischer Machart auf seine philosophischen Grundlagen ab.
Dabei lässt der Film zu Beginn anderes vermuten. Denn zunächst bekommt der Zuschauer eine blutige Mordsequenz an einem jungen Paar zu sehen, die in ihrerExplizitheit Se7en alle Ehre gemacht hätte. Allerdings passieren die Gewalttaten des Killers allesamt im ersten Drittel des Films. Danach konzentriert sich die Erzählung vollkommen auf die beiden Protagonisten: den Cartoonisten Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal) und den Reporter Paul Avery (Robert Downey Jr.), beide beschäftigt beim San Francisco Chronicle. Das Duo macht sich daran, den Fall zu lösen, vor allem die kryptischen Buchstabenrätsel, die der Killer an die Redaktion des Regionalblattes schickt. Es beginnt eine Jagd, die, je länger sie dauert, immer unübersichtlicher wird. Jeder Hinweis, jeder neue Brief des Killers, jedes neue Verhör führt nur dazu, dass sich die Spuren vervielfältigen und der Fall immer komplexer wird. Eine Lösung rückt in immer weitere Ferne. Die beiden Protagonisten gehen mit dieser frustrierenden Erfahrung unterschiedlich um. Während Avery schlicht kapituliert und Trost im Alkohol sucht, kann sich Graysmith nicht mit der Situation abfinden. Die Spurensuche wird zur Obsession, an der seine junge Familie zerbricht.
Es ist kein Zufall, dass die beiden Helden des Films investigative Journalisten sind. Die beiden Pressevertreter sind in Finchers Film Repräsentanten einer erkenntnistheoretischen Allmachtsfantasie. Sie sind unbestechliche Sucher der Wahrheit, Aufklärer und Welterklärer. Ganz im Gegensatz zum Polizisten David Toschi (Mark Ruffalo), der weniger idealistisch (ideologisch?) als vielmehr pragmatisch an den Fall herangeht und irgendwann akzeptiert, dass es keine eindeutige Lösung gibt. Das kann Graysmith nicht. Denn in der Welt von Zodiac gibt es keine objektive Wahrheit, keine Lösung, keinen Schlusspunkt, an dem alle losen Enden miteinander verknüpft werden. Es gibt nur Hinweise und Indizien, der Rest ist Interpretation. Der Rationalismus als herrschende Philosophie und Ideologie befindet sich in einer Sackgasse, seine Vertreter müssen daher notgedrungen scheitern.
Als Medien- und Zeitungsfilm zitiert Fincher übrigens meisterhaft Klassiker der Siebziger Jahre wie Alan J. Pakulas All the President's Men; die Szenen in den Redaktionsräumen des SF Chronicle gehören zu den atmosphärischsten des gesamten Films. In den Vorbildfilmen genoss der Journalist noch eine moralische und intellektuelle Sonderstellung, galt als Institution der Wahrheit. In etwa vergleichbar den klassischen Detektiven der Literaturgeschichte wie Edgar Allan Poes C. Aguste Dupin oder Sherlock Holmes. Wie sehr sich sein Status geändert hat, zeigte 1999 schon Michael Mann in The Insider. Hier kennt der Reporter die Wahrheit, kann sie jedoch nicht veröffentlichen. Zodiac geht noch einen Schritt weiter: er führt die Vergeblichkeit der gesamten Wahrheitssuche vor.
David Finchers Film ist trotz all dieser philosophischen Implikationen kein sperriges Arthouse-Traktat. Sondern vielmehr Spannungskino der intensiven Sorte. Wenn etwa Jake Gyllenhaal sich im letzten Drittel des Films auf der Jagd nach neuen Hinweisen im Keller eines Verdächtigen wieder findet, weiß Zodiac mit dem kalkulierten Einsatz klassischer Thriller-Elemente zu überzeugen. Der sich mit dem Cartoonisten Graysmith identifizierende Zuschauer fühlt dessen Unbehagen ob der Undurchschaubarkeit des dubiosen Kellerbesitzers geradezu mit - und ist erleichtert, wenn er dann endlich die Treppe hoch rennt, um aus der vermeintlichen Todesfalle zu entkommen.
Am Ende gelingt es Graysmith, die Indizien so zu ordnen, dass er einen Tatverdächtigen ermitteln kann. Ja, er steht ihm sogar Auge in Auge gegenüber. Es gelingt ihm jedoch nicht, einen überführenden Beweis zu finden. Und so entlässt der Film nicht nur seinen Helden ohne abschließende Antwort, sondern auch den Zuschauer. Der wird damit, so ganz nebenbei, auf seine an zahllosen Thrillern geschulte Erwartungshaltung zurück geworfen - und erhält so die Chance, die eigene Perspektive zu erweitern.
Letzten Endes ist Zodiac ein selbstreflexiver und selbstbewusster Thriller, der die narrativen und strukturellen Konventionen des Genres ex negativo vorführt und einen kritischen Blick auf die Philosophie wirft, die ihm zugrunde liegt. Natürlich auf die Gefahr hin, den einen oder anderen Zuschauer zu enttäuschen. Für aufgeschlossene Geister ist der Film aber in jeder Hinsicht ein Gewinn. Tritt er doch den Beweis an, dass das Hollywood-Kino durchaus intellektuelle Herausforderungen bereithalten kann - ohne, dass der Zuschauer auf eine spannende Geschichte verzichten muss.

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