Eigentlich sollte er wissen wovon er spricht, denn immerhin ist Paul E. Steiger ehemaliger Chefredakteur des Wall Street Journal und heute Leiter des unabhängigen Redaktionsbüros ProPublica mit Sitz in Manhattan, das sich der investigativen Recherche verschrieben hat. In Wozu noch Zeitungen?, dem lesenswerten Interviewband der deutschen Journalisten und Medienwissenschaftler Stephan Weichert, Leif Kramp und Hans-Jürgen Jakobs, formuliert Steiger jedoch eine seltsam hilflos wirkende Daseinsberechtigung der guten alten Zeitung angesichts des medialen Funktionensynkretismus des Internets.
Print biete den Vorteil, dass es "einen Anfang, eine Mitte und ein Ende gibt". Außerdem könne man Zeitungen überall mit hinnehmen, es handele sich um abgeschlossene Gebrauchsanleitungen, die über alles Wichtige informierten. Im Internet dagegen finde sich immer noch ein weiterer Link, den man anklicken könne. Steiger vergleicht hier Äpfel mit Birnen: Eine Zeitung ist nicht mit dem Internet zu vergleichen, höchstens mit dem Online-Auftritt eines Mediums oder einer Online-Zeitung. Auch hier finden sich Anfang, Mitte und Ende. Wenn ich Links finde, die ich anklicken kann, ist das in etwa dasselbe, als wenn ich mir in einem weiteren Print-Magazin zusätzliche Informationen besorge, die ich in der Zeitung nicht finden konnte. Finde ich im Netz bei einer Recherche kein Ende, ist nicht das Internet Schuld, sondern mangelnde Medienkompetenz und Selbstkontrolle.
Mittlerweile sind Internet-User auch lokal nicht mehr gebunden, das dürfte selbst der 1942 geborene Steiger mitbekommen haben. Spätestens seit Blackberry und iPhone, können Nachrichten und Informationen überall abgerufen werden. In Zukunft wird das dank neuer User-Endgeräte sogar noch einfacher sein. Widersprüchlich wird Steiger schließlich, wenn er der gedruckten Zeitung bescheinigt, sie mache auf Dinge aufmerksam, von denen man gar nicht wusste, dass sie einen interessieren. Aber ist das nicht gerade die Funktion von Links? Und gibt es diese Art von Verweisen nicht vor allem im Internet? Was Steiger also schon für Printmedien diagnostiziert, gilt vor allem für elektronische, denen es wesentlich leichter fällt, auf externe Inhalte zu verweisen, die man vorher nicht kannte und von denen man nicht dachte, dass sie thematischen Reiz besitzen.
Fazit: Nicht nur Star-Journalisten wie Paul Steiger fällt es schwer, den Wert gedruckter Zeitungen zu beschreiben. Das einfache Vermitteln von Nachrichten ist es jedenfalls nicht, das kann das Internet dank seiner multimedialen Eigenschaften wesentlich besser. Weder in Punkto Bild, Film, Grafik noch in Punkto Textlänge gibt es hier Beschränkungen. Vielleicht sind es gerade die sinnlichen Elemente der Zeitungslektüre, die der Zeitung das Überleben in der Zukunft ermöglichen. Das Rascheln des Papiers, der Geruch, das Lebensgefühl, mit der Süddeutschen im Café zu sitzen. Das wird die Auflagenzahlen zwar nicht stabil halten, das völlige Verschwinden jedoch verhindern. Aufgabe der Journalisten und vor allem der Verleger wird es sein, neue Erlösmodelle zu finden. Denn wir befinden uns mitten in einem technologieinduzierten Medienwandel - und solche haben sich noch nie aufhalten lassen.
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